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Arbeitsgemeinschaft Villinger Fasnet

Vortrag von Karl Haas am 19. Nov. 1999 beim Rollen-Obed über: "Schellen, Glocken und Rollen in der Fasnacht"

Wir wollen uns heute einmal über die Rollen des Villinger Narros Gedanken machen. Eines ist sicher: Je mehr Fragen im Vorfeld geklärt werden konnten - je mehr neue Fragen gab es. Bei den Treffen der Arbeitsgemeinschaft, am letzten Freitag im Monat (Bauernstube, Gasthaus
"Sudhaus") waren die Rollen mehrfach ein Thema, über das intensive diskutiert wurde. Trotzdem, und gerade deshalb, wollen wir dieses Thema aufgreifen, um vielleicht einige Fragen beantworten zu können, Denkanstöße zu geben oder um die Rollen selbst zu einem Thema werden zu lassen.

Ausgehen möchte ich zunächst von der Glocke. Seit mindestens 6000 Jahren gibt es Glocken. Ungefähr seit dem Jahr 500 wird die Glocke im Christentum als Kultgegenstand und zwar als Kirchenglocke im Kirchturm verwendet. Unsere Altstadtkirche z. B. hatte schon Mitte des
11. Jht. eine Glocke. Für das Münster ist eine Glocke für das Jahr 1294 nachgewiesen.Die größte Glocke wurde in Rußland gegossen. 200 000 kg schwer und 6,5 m hoch. Die größte deutsche Glocke wurde für den Dom zu Köln mit 24 000 kg gegossen. Villinger Glocken-herstellung ist seit 1580 (Hans Raeblin (Reble)) belegt. Schon ab 1645 übernahm die Familie Grüninger die Nachfolge.
Der Name Grüninger ist insoweit interessant, weil in dieser Gießerei auch Narro-Rollen hergestellt wurden.Wann wird dies zum erstenmal geschehen sein?

Die Glocke wird im Lexikon wie folgt erklärt: Metallisches Schlaggerät von becherförmiger Gestalt, das mit der Öffnung nach unten am Boden des Bechers aufgehängt wird. Durch Anschlagen mit einem Hammer oder durch den in der Mitte des Bodens befestigte Klöppel, der durch Schwingen der Glocke wechselweise an der Wandung anschlägt ("Läuten" der Glocke) wird ein kräftiges harmonisches Tongemisch erzeugt.
Der Schlagton erscheint dabei als Differenzton der vorhandenen Töne.

Ich habe dies etwas ausführlich erwähnt, weil unsere Narro-Rollen ebenfalls gegossen sind und deswegen einen besseren, schöneren, ja edleren Klang haben als solche aus Blech. Durch die verschiedenen Größen, verschiedene Hersteller, verschiedenes Alter der Villinger Narro-Rollen, ergibt es an Fasnacht ein Geläute und Geschelle, das nicht nur etwas für das Ohr ist, sondern sogar unter die Haut gehen kann.

In der Narren- bzw. Fasnachtsliteratur wird gern die Bezeichnung Schelle verwendet. Darunter wird meist eine kleine Glocke oder Klingel verstanden. Die Schelle wird dem Schall zugeordnet. Dazu wird auch die Maulschelle gerechnet (Ohrfeige daß es schallt). Eine weitere Schelle die wir gern vermeiden - ist die Handschelle !

Die erste schriftliche Erwähnung, daß in Villingen an Fasnacht Schellen getragen wurden, stammt aus dem Jahre 1728. Damals wurde ein Michael Kayser bestraft, "weil er nach Bettläuten in Masceren und Schellen über eine 1/4 Stunde auf der Gasse gewesen".

Albert Fischer schreibt in seinem Heftle über die Villinger Fasnet auch über das Geschell des Narros. Er macht u. a. folgende Aussage:
"Die ältesten Rollen waren aus Kupfer getriebene Rollen, die leider vollständig verschwunden sind, neben diesen gab es auch steirische Rollen, die, obwohl sehr groß, doch leicht waren und einen dumpfen Klang hatten". Weiter schreibt er: "Die jetzigen Rollen, in der technischen Ausdrucksweise "russisches Schlittengeläute" genannt, sind aus Bronze gegossen und werden meistens in Nürnberg hergestellt".
Er meinte, daß die Rollen aus Imst und aus der Steiermark kämen.Leider fehlen Jahreszahlen, wann der Wechsel von Blech auf Guß stattfand.

In Villingen nennt man heute die Schellen des Narros Rollen. Rollen leiten sich von Roller ab. Im Gegensatz zum Glockenklöppel ist es bei der Rolle ein kugelförmiger (meist mehreckiger) und freibeweglicher Gegenstand der durch sein hin-und herrollen das Gehäuse, den Klang-körper, zum Erklingen bringt. Das Erklingen d. H. Schütteln der Narro-Rollen geht wie folgt (Ich versuche es in Worte zu fassen):
Während der Schrittfolge wird vom Standfuß auf dem Fußballen leicht gewippt und der Fuß etwas zurück gezogen (ohne Luftsprung, ohne zucken).
Währenddessen schwingt der freie Fuß nach vorne (ohne Streckparade) und wird zum Standfuß. Dies alles im Rhythmus des 4/4 Taktes ("zwei gestrichen") und in einer runden, ja tänzerischen Bewegung.

Wie kommt die Glocke aber in die Fasnacht?

Daß die Narren schon im Mittelalter Schellen trugen habe ich schon erwähnt und dürfte auch allgemein bekannt sein.Die Schellen galten damals als wichtiges Narrenattribut. In der Mitte des 15. Jht. gewannen sie noch mehr an Bedeutung. Später hielt man sie sogar, zumindest zeitweise, als das wichtigste Narrenattribut überhaupt. Wie so oft, so auch in der Wissen-schaft, kann kein genaues Datum genannt werden ab wann die Narren Schellen trugen. Das Quellen- sprich Bildmaterial aber deutete es schon im frühen 14. Jht. an. Eindeutige Dar-stellungen gab es jedoch im angelsächsischen Raum zu Beginn des 15. Jht. Dargestellt wurde auch hier ein Narr vor König David. Diese Glocken haben bereits das Aussehen unserer Glocken bzw. Rollen.War dies schon eine Verbalhornisierung der glocken- und schellentragenden Personen?

Zur Bezeichnung Schelle gibt es auch viele und sehr alte Sprichwörter. So z. B. über den Schellenkönig loben. Eine gute Schelle hört man weit, eine böse Nachricht noch weiter.Das ist eine alte Schelle (Weiber die keifen und schreien) Er hat Schellen am Arsch.
(So bezeichnete man böse Pferde, vor denen man sich hüten sollte). Seine eigenen Schellen schütteln. (Seine Schande selbst bekannt machen).
Einer Katze die Schelle umhängen. Einem die Schellen umhängen. (Ihn zum Narren machen) Oder Weiteres: Wer weiß nicht, was eine Schellenpartie ist? Die Glocke oder Schelle war und ist immer noch für uns wichtig. So kennen wir Schellen oder Glocken beim Telefon, Haustüre (-->" s hät gschället"), Schulschluss, Fahrrad-Schelle, Bittel-Schelle, und natürlich die Kirchen-glocke. Sie ruft die Gläubigen zum Gebet (z.B. Angelus), zum Kirchgang usw.. Früher hat sie bei Feuer und Krieg geläutet. Früher wie heute auch beim Tod. Wer weiß etwas vom Malefitzglöckle? Hing es nicht auf dem Kornhaus, in dem auch Gericht gehalten wurde? Es
läutete, wenn jemand zum Tod verurteilt war und den Gang zum Hochgericht antrat. Alle die Glocken und Schellen haben etwas gemeinsam - sie machen uns auf ein Ereignis aufmerksam.Es gibt aber noch einen Verwendungszweck. Schellen, Glocken oder Rollen in der Fasnacht.

Damit kommen wir zum eigentlichen Kern meines Vortrages.

Der Narr trug und trägt immer noch Schellen, Glocken oder Rollen. (Bis auf wenige Ausnahmen z. B. Teufel, Butz, Strohmann usw.) Für den Narren beschränkte sich der Schellenschmuck zuerst auf eine kleine Schelle die an der Spitze der bis 1400 meist schlichten und zipfel-mützigartigen Narrenkappe (Gugel) hing, Bald danach nahm der Gebrauch der Narrenschellen inflationsartig zu. Im späten 15. Jht. wurde es üblich, neben der Narrenkappe auch die übrigen Teile der Torentracht, Gewandsäume, Ärmel, Beinkleider sowie Schnabelschuhe mit Schellen zu behängen. Ebenso der Gürtel. Dieser eignete sich übrigens sehr gut auch für größere Schellen (Kuh-Glocken).

In Villingen trägt der Narro im allgemeinen 44 Rollen an 4 Riemen. Müssen es 4 Riemen sein? Zwei oder sechs sind doch auch möglich?
Diese werden abwechselnd links-rechts auf die Schultern gelegt. Zur Zeit ist es gängig, daß vorne vier Rollen nebeneinander liegen.
Hinten sind es dann zwei. Werden vorne zwei gelegt (was nicht falsch ist), sind es hinten dann vier. Hauptsache das "Foulard" ist vorne links am äußersten Riemen, mit Schlupf und von der Kappe verdeckt, befestigt. Die Größe der Rollen sind meist durch den Rollenmacher gegeben.
Sie sind wie Orgelpfeifen abgestuft. Als größte Rolle wird normal die 80er verwendet. Aus-nahmen gibt es mit der 100er, die als die größte gilt.

Das Tragen von Glöckchen kommt aus dem Orient. Hier trug z. B. beim jüdischen Volk der Hohepriester Glöckchen an seinem Gewand. So konnten die Israelis mit ihrem Gehör verfolgen, wo der Hohepriester im Allerheiligsten, das für das Volk nicht zugänglich und nicht sichtbar war, sich jeweils befand. Im Hochmittelalter war im europäischen Raum das Tragen kleiner Glöckchen, die "tintin nabula" am Gewand einzig und allein dem Kaiser vorbehalten. Der Kaiser kam damals vor dem Papst gleich nach Gott. Im Investiturstreit wurde aber dies geregelt. Im 11. und 12. Jht. verflachte diese Sitte zum Modeobjekt. Zunächst trug es der Adel, später auch andere Stände. Ein Sprichwort der damaligen Zeit hieß: "Wo die Herren sind, da klingen die Schellen".Im 14. Jht. setzte eine wahre Schellenflut ein. Ende des 15. Jht. hatten "vornehme"
Leute jedoch genug der Glöckchen. Der positive Sinn dieses Attributs schlug im Laufe der Zeit um in einen negativen Sinn. Die Kritik der Kirche und der Obrigkeit an der Ausuferung der Glockenmode, auch bei den unteren Ständen, und der lauter werdende Verruf der Glocke als
Zeichen der Hoffart, taten das Ihrige.

Die vornehme Welt hat sich also Ende des 15. Jht. endgültig von der mittlerweile als vulgär empfundenen Schellenmode distanziert. Nur die Narren trugen sie weiter und diese und nur ebendiese durften die Glöckchen weitertragen und machten sich damit halt lächerlich. Dies machte einem Narr nichts aus, im Gegenteil, er freute sich über die Aufmerksamkeit die man ihm schenkte. Dieser Wertewandel der Glöckchen dauerte ca. 50 - 100 Jahre. Im Mittelalter (mit entsprechender Denkweise) war nicht das Ding an sich entscheidend, sondern stets die jeweilige Bedeutung, und diese konnte und ist vom positiven Sinn ins Negative umgeschlagen. Inzwischen ist die Schelle automatisch ein Begriff des "Narrentums" und der "Fasnacht" geworden.

Eine weitere Überlegung des Schellentragens muß angestellt werden bei den natürlichen Narren d. h. die Menschen die einen geistigen Defekt (en Kretz uf de Binestege) hatten. Diese konnten auch recht aufsäßig und gefährlich werden. Um die übrigen Menschen auf solche Personen aufmerksam zu machen, wurden diesen z. B. eine Schelle umgehängt.

Ganz wichtig ist die Feststellung, daß im späten 12. Jht. ein Gemälde eines unbekannten Malers entstanden ist, das den Kampf der Tugenden gegen die Laster darstellt . Bei diesem Bild werden Schellen eindeutig als Laster dargestellt (Ausgelassenheit und Scherz). Noch früher, und zwar im 9. Jahrhundert, hatte die Schelle das Laster der Geschwätzigkeit dargestellt. Ein Bischof von Mainz (Hrabanus Maurus) verfasste einen alphabetischen Katalog, der die allegorischen Bedeutungen wichtiger Kernbegriffe der Heiligen Schrift erläuterte. Zur Schelle schrieb und verwies er auf das Paulus-Wort in der Bibel 1. Kor. 13,1: "Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete und hätte aber die Liebe nicht, so wäre ich wie ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle". Die klingende Schelle zeigt genau das an, was gleichzeitig eines der wichtigsten Merkmale der Narrheit galt: Selbstgefälligkeit und das völlige Fehlen der Nächstenliebe (Egoismus). In der Folgezeit beriefen sich Theologen im Zusammen-hang von Schellen auf dieses allegorische Biebelzitat. Dieser Blick in die Vergangenheit der Kulturgeschichte zeigt einmal mehr den christlichen Hintergrund der Narrenidee.

Wie wichtig die Schelle als Narrenattribut war, zeigt auch die bildende Kunst im Jahre 1494. In den zahlreichen Holzschnitten der Basler Ausgabe des "Narrenschiffs" wurde kein einziger Narr ohne Schelle dargestellt. Nach dem Barock veränderte sich an den Schellen der Narren nichts mehr.

Warum die Schellen im Fastnachtsbrauchtum diesen Stellenwert bekamen, konnte von der Wissenschaft geklärt werden. Seit dem 6. Jht. bis zum 2. Vatikanischen Konzil, also mehr als 100 Jahre lang wurde jeweils am Sonntag Quinquagesima der seit dem Hochmittelalter als Fastnachtssonntag gilt, in der Lesung die bekannte Paulusstelle vom 1. Korintherbrief vorgelesen. Jahr für Jahr wurde unmittelbar vor der Fastnacht darauf hingewiesen, daß die Reden und Lobeshymnen usw. ohne die Liebe (sie schließt die Wahrheit mit ein) - Süßholzgeraspel ist und nicht mehr Wert hat als der Ton einer Schelle. Meist wurde dieses Thema noch in der Predigt aufgegriffen. So hat auch Johannes Pauli, ein berühmter Prediger im süddeutschen Raum insbesondere in Basel und Straßburg, so auch in Villingen in den Jahren 1490 bis 1494, zu diesem Thema jeweils am Fastnachtssonntag gepredigt.
Zweifellos förderte die Kirche auf diese Weise das Fastnachtsbrauchtum indirekt, um dann allerdings wegen den Übertreibungen moralisierend dagegen anzugehen. Das Schellenmotiv aus kirchlichem Kontext dürfte den Brauchtumsausführenden sehr wohl bekannt gewesen sein. Und trotzdem, wenn es den Menschen damals keinen Spaß gemacht hätte Fasnacht zu machen, so glaube ich, wäre der Brauch schon früh verloren gegangen.

Heute hat sich das Wissen um die geistigen Beziehungen in denen die traditionelle Formen der Fastnacht einmal gewachsen sind, weitgehend verflüchtigt. Das Fest als solches ist nur noch terminlich, keineswegs aber mehr inhaltlich an den Beginn der Fastenzeit gebunden.
Alle am Fastnachtsgeschehen Beteiligten hören jedes Jahr fasziniert dem Lärmen der Glocken und Rollen zu. Aber kaum jemand ahnt heute, was darin an ideengeschichtlichen Traditionen "nachklingt".