Vortrag
zur Stilkunde der Villinger Schemen
Schemenobed
2013 von
Thomas Augustinus Straub
Vorab halte ich es für sehr wichtig einmal auf die Kunst- und Kulturgeschichte
der Maske zu verweisen,nur wer einmal über seinen Tellerrand hinaus
schaut, kann auch eine Besonderheit, wie sie mit Sicherheit in der Villinger
Schemen-Tradition seit über drei Jahrhunderten gelebt wird, erkennen
und auch ihre Stellung bzw. ihre Bedeutung näher verstehen.
Mit zu den ältesten erhaltenen Masken der Kulturgeschichte zählt
eine sehr einfach,aber Ausdrucksstark wirkende Kalksteinmaske, gefunden
in Nakal Hemar im heutigen Israel, geschätztes Alter 7000 v.Chr..
Was ist in dem Kult um die Masken seit dem passiert, wie kommt es dass
irgendwann in Villingen im Schwarzwald auf die so genannte Scheme
so viel Wert gelegt wurde?
Darüber kann man nur spekulieren, oder man versucht herauszufinden,
welche Ereignisse, welche Eckpunkte uns die Kunst- und Kulturgesichte
in der Zeit parallel zu der Entwicklung der Villinger Maskierungstradition
zur lokalen Fasnet, bieten kann.
Dazu ziehe ich der Einfachheit halber, die meiner Meinung nach für
die Villinger Scheme wichtigen Kunstepochen, heran.
Diese sind die Griechische Klassik, die Römische Portrait Plastik,
der Barock/Rokoko, und der Klassizismus. Anhand von zahlreichen Abbildungen
wird versucht, Parallelen zu diversen Stil-merkmalen der Villinger Schemen
aufzuzeigen.
Einflüsse die in der Zeit des Barock, des Rokoko und dem Klassizismus
auf die lokalen Bild-hauer und Schemenschnitzer gewirkt haben könnten.
Besonders hervorzuheben
wären hier die Neuerungen die mit dem Bildhauer Dominikus Ackermann,
genannt Ölmüller, den Charakter des Narro, der ältesten
Figur der Historischen Villinger Fasnet, eingetreten sind und wie diese
klassizistischen Neuerungen noch heute das Antlitz dieser Figur idealtypisch
vorgeben.
Gegenüber dem vorangegangenen Barock und Rokoko zeichnete sich der
Klassizismus durch eine Rückkehr zu geradlinigen, klaren Formen und
einer stärkeren Anlehnung an klassisch-antike Vorbilder aus.
Höchstwahrscheinlich waren die Villinger durch das in der Chronik
erwähnte Fasnetverbot von 1809 durch die Großherzoglich Badische
Regierung dazu gezwungen, dem Verbot von z.B. Zitat: ?...? unanständiger
Kleidung, satyrischen Darstellungen, widerlichen Larven und schreckhaften
Vermummungen. etwas entgegenzusetzen.
Es liegt nahe, dass der damals in Villingen schaffende Bildhauer Dominikus
Ackermann, auf die Idee kam, die bis dahin stilistisch Barock geprägte
Narroscheme an die neuen Epoche/Mode anzupassen. Ein Typus mit Merkmalen
der klassizistischen Formgebung, von höchster Proportion, emotionslos
und erhaben zugleich, mit der Absicht, so die höfische geprägte
Verwaltung vom edlen Fasnachtsspiel in Villingen zu überzeugen.
In diesem Zusammenhang habe ich mir den Versuch erlaubt, eine so genannte
Ölmüllerscheme auf einige sehr bekannte Proportionsmuster
des menschlichen Gesichtes aus Lehrbüchern von bekannten Meistern
der Kunst, u.a. von Albrecht Dürer und Leonardo da Vinci, zu untersuchen.
Und siehe da, fast alle Lehren, der als rein und ausgewogen bezeichneten
Proportion des menschlichen Gesichts, werden eingehalten. Dies zeigt,
dass der Bildhauer Dominikus Ackermann nicht irgendein neuen Charakter
geschaffen hat, sondern mit wissender Kenntnis nach den großen Idealen
der klassizistischen Formgebung vorgegangen ist.
Auch das von vielen
als androgyn empfundene Antlitz des ölmüllerschen Narro, geht
in Wirk-lichkeit auf den vorherrschenden Idealismus dieser Zeit zurück
und somit auch auf den Ideal-ismus der griechischen Klassik, in der die
schwach ausgeprägten spezifischen Geschlechts-merkmale oder das Fehlen
von eindeutigen Geschlechtsmerkmalen dem jugendlichen, dem reinen und
edlen Schönheitsideal entsprachen.
Und dennoch können wir, an einigen Merkmalen der idealisierten
Scheme, die orangegangene Epoche noch erahnen, wie z.B. an den Backengrübchen,
dem leichten Doppelkinn, sowie an den roten Backen und den Schönheitsflecken
in der Fassung.
Um aber noch einmal
zurück zu kommen auf das Thema der Zuordnung zu einem bestimmten
Stil. Es sind meiner Meinung nach drei Kategorien bei Villinger Schemen
von Bedeutung, die ich im Folgenden kurz beschreibe:
Idealismus:
- hoher Anspruch an die Ästhetik und die Proportion
- weg von der Naturnachahmung, hin zu einer allgemeinen Idealisierung
- individuelle und persönliche Merkmale werden reduziert auf ein
höheres Schönheitsideal
Naturalismus:
- die Natur als Vorbild
- Nachahmung der Natur, d.h. individuelle und persönliche Merkmale
werden bewusst heraus- dgearbeitet
- möglichst detailgetreue Nachbildung des natürlichen
Vorbildes
Expressionismus:
- das Hauptaugenmerk liegt auf der Stärke des Ausdrucks, nicht auf
der Naturnachahmung
- starke Stilisierung, teilweise sehr vereinfacht in der Darstellung
- stark abstrahiert
Hierbei kann man den
Narro dem Idealismus zuordnen, da mit Sicherheit behauptet werden kann,
das so ein Gesicht nie existiert hat, es handelt sich um ein idealschönes
Gesicht aus der Zeit des Barock und des Klassizismus.
Die Merkmale der beiden Charaktere des Suribels und des Murbeles, weisen
jedoch eher auf den Naturalismus, man spricht auch von Portraitschemen,
in den oft versucht wurde, lokale Charakterköpfe wie
z.B. der Milchseppe oder die Sale festzuhalten.
Die Altvillingerin läst sich wiederum am Ehesten dem Idealismus mit
einer Portion Naturalismus zuordnen.
Auch auf die Physiognomie
und die Anatomie des menschlichen Gesichts und des Kopfes wird an Hand
einiger Schaubilder in diesem Vortrag teilweise genauer eingegangen. Gerade
in Bezug auf den Naturalismus der Suribel- und Murbeleschemen halte ich
dieses Thema für durchaus wichtig.
Nun aber noch zu einer
persönlichen Schlussbemerkung als Bildhauer und Schemen-Schnitzer.
Gehen wir einmal einem unschönen Gedanken nach und benutzen
hier für den bekannten Buchtitel des hervorragenden deutschen Philosophen
Walter Benjamin:
Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit und wandeln
es um in Die
Villinger Scheme im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit
Wie geht man mit diesem
Thema um? Stellen wir uns einmal vor, man nehme ein/zwei hervorragende
Villinger Schemen, eine 1A Ölmüller Scheme, vielleicht noch
eine glatte Bregel und ein Suribel/Murbele Paar von Manfred Merz. Man
könnte heutzutage diese Schemen in einem hochtechnischen Prozess
exakt fertig Kopierfräsen lassen, das wäre gar kein Problem.
Der Preis pro Scheme würde vermutlich irgendwann auf um die 200 EUR
sinken. Aber was dann?
Spätestens in fünfzig Jahren wäre wahrscheinlich keiner
mehr in der Lage handgeschnitzte, individuelle und hochwertige Villinger
Schemen zu schnitzen, da niemand mehr diese hohe Fertigkeit gelernt hätte.
Das Wissen, welches nur das lange Studium der Auseinandersetzung mit den
ganz speziellen Besonderheiten der VillingerSchemenkunst garantieren kann,
wäre ver-loren gegangen. Und wäre einmal dieser Schritt gegangen,
gäbe es keinen Weg mehr zurück. Die reiche Villinger Schemenkultur
wäre endgültig ein Relikt aus der Vergangenheit. Wollen wir
das wirklich?
Zum Glück stimmen viele Villinger Narren mit einem klaren Nein und
deshalb bestehe ich darauf, dass die Villinger Schemen von Vorne bis Hinten
handgearbeitet sind, nur so kann garantiert werden, das auch jede Scheme
(und somit jedes Mäschgerle) ein einzigartiges Einzelstück bleibt,
damit uns diese reiche Vergangenheit auch in Zukunft noch erhalten bleibt.
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